Enzensberger Bücherplätze werden abgebaut

Der in Kaufbeuren geborene Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger feierte am 11. November 2009 seinen 80. Geburtstag. Dieses Datum markiert gleichzeitig den Projektabschluss der "Bücherplätze", die Stadt und Volkshochschule Kaufbeuren zu diesem Anlass für fünf Wochen aufgestellt hatten.

Am 11. Oktober, genau einen Monat vor Enzensbergers Geburtstag hatte Oberbürgermeister Stefan Bosse die Installation nach einem Konzept der beiden Künstlerinnen Karin Bergdolt und Sigi Wiedemann der Bevölkerung übergeben. Unter dem Titel "Wie Brösel, erbeutet von einer Ameise" ermöglichte sie bis zum 13. November einen direkten und authentischen Kontakt mit Enzensbergers Literatur. Angefertigt hatten die Regale Schülerinnen und Schüler der Gustav-Leutelt-Schule im Rahmen des Qualifikationsprogramms “BIWAQ – Netzwerk Neugablonz: Deine zweite Chance”.


Rund 400 Bücher hielten die 20 “Bücherplätze” bereit. Darin schmökerten Passanten, nahmen sie mit nach Hause und brachten sie nach Gebrauch wieder zurück. Die stetige Veränderung der “Bücherplätze”, die ungesteuerte Dynamik war wesentlicher Teil des Konzeptes. Manche Kästen waren rasch leergeräumt. Immer wieder jedoch kehrten Bücher zurück, darunter  auch projektfremde Ausgaben: Sachbücher, Romane, Veranstaltungshinweise oder Comics. Sogar Mitglieder von “Bookcrossing.com”, der Datenbank für weltweiten Büchertausch, listeten die “Bücherplätze” auf ihrer Internetseite.

Der wesentliche Erfolg des Projektes lag in der öffentlichen Wahrnehmung. Außer einigen einkalkulierten Vandalismusfällen überstanden die meisten “Bücherplätze” die Aktionsdauer unbeschadet. Im Gegenteil: benachbarte Geschäftsleute und aufmerksame Mitbürger übernahmen die Fürsorge für “Bücherplätze”, sortierten Literatur, meldeten Beschädigungen oder wischten nach Regengüssen das Plexiglas frei. Auf diese Weise bestimmten die Bürgerinnen und Bürger die tagesaktuelle Gestalt der Installation, wurden von Konsumenten zu aktiv Beteiligten.

Enzensberger selbst nannte die Aktion eine “wunderbare Idee”, erschien jedoch erwartungsgemäß nicht zur offiziellen Eröffnung, weil er “den unvermeidlichen Rummel möglichst nicht weiter befeuern” wollte, wie er in einer E-Mail mitteilte. Neben lokalen und regionalen Medien berichteten unter anderem das Bayerische Fernsehen und der Norddeutsche Rundfunk in seiner Sendung “Klassikboulevard - Kulttour” am 7. November über Kaufbeuren und seine Installation zum Geburtstag des Schriftstellers.

Auch nach dem Projektende werden Bücher und “Bücherplätze” nicht von der Bildfläche verschwinden. Die verbliebenen Buchbestände übernimmt das Stadtmuseum und wird sie in seiner künftigen Literaturabteilung als Leseexemplare anbieten. Die Regale werden an Kindergärten, Schulen, Kirchengemeinden und Kultureinrichtungen in Kaufbeuren vergeben und dort für andere Zwecke eingesetzt. “Die Nachfrage auf unser Angebot war riesig”, berichtet Günther Pietsch von der städtischen Kunstförderung, “wir hätten Abnehmer für weitere 20 Modelle gefunden”.
Dass die “Bücherplätze” auf diese Weise weiterleben, war zunächst nicht abzusehen, ist aber ein schöner Schlusstrich unter die “Bilanz der Brösel”.
Dieses Vorhaben wurde aus dem Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union und aus Mitteln des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gefördert.